Neßmersiel: Mühle aus dem Dornröschenschlaf geweckt
Gundolf Scheweling, Marienhafe / Ostfriesland
Unter dieser Schlagzeile berichtete Ende August 2022 der „Ostfriesische Kurier“ über den Wiederaufbau bzw. die Restaurierung der Holländerwindmühle in dem vormaligen Hafenort Neßmersiel im Landkreis Aurich unweit des Deiches an der Nordseeküste.
Die zweistöckige Galerieholländermühle mit einer Kappenhöhe von 18m war 1884 von Ude Kupers erbaut worden und befand sich in den 1950er Jahren immer noch im Besitz der Müllerfamilie, nunmehr unter dem Namen Obermeyer. Die Mühle hatte nach ihrer Erbauung zunächst Flügel mit Segelbespannung, seit 1903 dann aber Jalousieflügel.
Bis in die 1950er Jahre war die Mühle in Betrieb. Im Zuge der großen Mühlenstilllegung Ende der 1950er Jahre erfolgte dann aber 1959 auch die Stilllegung der Neßmersieler Windmühle. Die bundesweite Mühlenstilllegung, 1957 durch das gleichnamige Gesetz verabschiedet, verfolgte das Ziel, kleine Mühlenbetriebe stillzulegen und vor dem Konkurs zu bewahren. Die historischen Wind- und Wassermühlen waren – Kleinbetriebe im Vergleich zu den großen Mehlfabriken – durch die wachsende Konzentration auf dem Mehlmarkt und durch die Konkurrenz eben der großen Mehlfabriken (u.a. Rolandmühle Bremen, Fortmühle Hameln, Mühlenbetriebe Werhahn in Neuss und Duisburg) nicht mehr konkurrenzfähig und somit unrentabel geworden.
Seit ihrer Stilllegung stand die Neßmersieler Mühle, ihres Innenlebens beraubt (Mühlenmaschinen und -einrichtungen mussten bis Ende 1960 aus den stillgelegten Mühlen entfernt werden!), ohne weitere Mühlennutzung und verfiel allmählich. 1967 hat der Neßmersieler Landwirt Johann Janssen die Mühle mit ihren Anbauten für 40.000,- DM gekauft und die Mühle für eine Getreidetrocknung und -lagerstätte umgebaut. Diesen Zweck erfüllte sie bis zur landwirtschaftlichen Betriebsaufgabe bis zum Jahr 2000.
Gegen den weiteren Verfall der Mühle regte sich der Widerstand Neßmersieler Bürger. 2012 wurde in Neßmersiel der Mühlenverein gegründet, dessen Ziel es war und ist, die Mühle aus ihrem Dornröschenschlaf zu erwecken. 37 Interessenten folgten der Einladung des damaligen Ortsbürgermeisters Egon Kleemann zur Vereinsgründung – ein Zeichen dafür, dass in der kleinen Gemeinde ganz offensichtlich ein großes Interesse am Erhalt der ortsprägenden Mühle besteht.
Zielsetzung der Vereinsgründung ist es, die Mühle zu restaurieren und auch wieder mit Flügeln zu versehen, wozu zunächst die vormaligen Flügel der Bockwindmühle in Dornum vorgesehen waren. Diese erwiesen sich aber nach Heranziehung eines Mühlenexperten als ungeeignet.
Und auch die Kostenschätzung von 60.000.- € für die Restaurierung der Mühle incl. Flügelanbringung erwies sich schnell als unrealistisch. Dennoch wurde das Ziel der Wiederherstellung der Mühle nicht aufgegeben. Für das Anlegen eines finanziellen Grundstocks veranstaltete der Verein Events an der Mühle und sammelte Spenden ein.
Nach der fachlichen Hinzuziehung des Monumentendienstes, eines Mühlenbauers und eines Architekten wurde deutlich, dass die Restaurierung der Mühle ohne Fördergelder nicht zu bewerkstelligen sei. 2017 wurden erste Förderanträge gestellt, um die Galerie und den Achtkant zu restaurieren. Förderzusagen kamen von Seiten des Leader-Programms, der Bingo-Stiftung, der Gerhard ten Doornkaat – Stiftung und dem Mühlenpool des Landkreises Aurich.
Nachdem der hölzerner Achtkant und Galerie restauriert waren (die Kosten lagen bei rund € 190.000.), ging es daran, die Mühlenkappe zur restaurieren. Die Kappe war bereits 2015 aus Sicherheitsgründen vom Achtkant abgenommen worden. Im Juni 2021 wurde die Kappe von einer niederländischen Mühlenbaufirma abgeholt und in den Niederlanden restauriert. Finanzielle Zusagen waren zuvor von Leader und der Deutschen Stiftung Denkmalschutz gemacht worden, hinzu kamen erwirtschaftete Eigenmittel des Vereins, in dessen Eigentum die Mühle mittlerweile übergegangen ist.
Am 17. Juni 2022 traf die komplett sanierte Kappe (Sanierungskosten: rund € 150.000.-) wieder in Neßmersiel ein und wurde mit einem großen Autokran auf den sanierten Achtkant aufgesetzt. Damit hat Neßmersiel sein ortsbestimmendes Wahrzeichen wieder, zumal es eine Kirche mit Kirchturm in Neßmersiel, einem Ortsteil der Gemeinde Dornum, nicht gibt.
Auch soll die Mühle zukünftig wieder Flügel erhalten. Derzeit aber wird eine Teilfläche in der Mühle zu einer kulturellen Begegnungsstätte für Jung und Alt ausgebaut. Und auch dafür bemüht sich der gemeinnützige Mühlenverein unter der Mithilfe vieler Mitglieder intensiv um Spenden.